Fünfte Szene.

[47] EINE STIMME bricht jäh das Schweigen.

Hussa! Ich muß dich haben!

TEUT springt auf.

Wer sprach?


Er greift nach Pfeil und Bogen und blickt gespannt nach links in den Wald.


Dem Haine naht ein Wild –


Er spannt den Bogen.


Mein Pfeil

Fehlt nie sein Ziel.


Ein Reh jagt im Hintergrunde von links kommend vorüber. Teut drückt den Pfeil ab in dem Augenblicke, da das Reh über die Mauer des Todeshaines setzt.


Hier ist der Tod!


[47] Theoda kommt eiligen Laufes, einen Jagdspieß in der Hand, von links daher, das Reh verfolgend. Sie stutzt vor der Mauer des Haines.


TEUT.

Halt ein! Zurück! Der Todeshain!

THEODA ist bereits über die Mauer in den Hain gesprungen.

Das Wild für meines Königs Mahl!

TEUT voller Entsetzen.

Ha, Theoda – war's deine Stimme –?

Zurück! Ein Schritt im Hain bringt Tod – –


Er lauscht atemlos.


Zu spät? – –Verloren –?


Er wirft in jähem Entschluß den Bogen von sich.


Grimmer Gott,

Dies Opfer kann ich dir nicht gönnen –

Liebe bricht dein Gebot,

Liebe gibt ihr Tod!


Er stürmt nach rückwärts und folgt Theoda in den Hain. Die Bühne bleibt leer.


THEODA kommt aus dem Tor, in der Hand ihren Speer und Teuts Pfeil.

Dort liegt das Wild! Doch hat's mich weit

Gelockt, und da, ein fremd' Geschoß

Stak bei dem Spieß. Will wer die Beute

Mit mir teilen?


Sie späht unsicher umher.


Wo bin ich nur?

Der Wall dünkt mich bekannt – die Bäume –

Das Tor – des Wächters Ruf – gewiß –

Weh mir – ich war – im Todeshain!


Sie bleibt im Schrecken wie angewurzelt stehen.
[48]

TEUTS STIMME aus dem Haine.

Theoda!

THEODA.

So muß ich sterben?

TEUT in vollster Sehnsucht rufend.

Theoda!

THEODA.

Wer ruft mich? Wer?


Teut erscheint unter dem Tor; Theoda stürzt auf ihn zu, umklammert seine Knie in höchster Angst.


Ich will nicht sterben, hilf mir Teut!

TEUT.

Laß mich –

THEODA verzweiflungsvoll.

– Leben!

TEUT.

Laß mich – Tod!


Er umklammert mit beiden Händen ihren Hals. Theoda springt in wildem Entsetzen auf, sucht sich ihm zu entwinden und stemmt beide Arme gegen seine Brust. Während sie mit ihm kämpft:


THEODA.

Wie? Du? – Du willst mich töten? Du!

TEUT.

Dem Tod bist du verfallen, hör –

THEODA.

Willst mich – mit mir den Vater morden?[49]

TEUT.

Du warst im Hain –

THEODA.

Denn er stirbt Hungers ohne mich!

TEUT.

So hör mich doch!


Theoda starrt ihn bewegungslos an.


Nicht sollst du dumpf als Opfer fallen,

Den Tod nimm von der Liebe Händen,

Ein Todverfallner beut dir Tod!


Sie löst sich langsam aus Teuts Händen, tritt zurück, betrachtet ihn erst scheu, nähert sich ihm dann noch halb in Angst, halb in Entzücken, und ergreift seine Hand.


THEODA.

Du – mit mir – sterben? Teut – du? Teut!

TEUT in ruhiger Entzückung.

Schon naht der Tod – das Sein verdämmert –


Er tastet nach Theodas Haupt und zieht sie näher zu sich.


Ich fühl's, wie mir's zum Herzen quillt, –

Ist dies der Tod, so ist er Wonne,

Qual das Leben!

THEODA leise und erstaunt.

Teut! Nein, nein!

Dein Auge leuchtet hell, du lebst!

TEUT ebenso.

Ich lebe? Theoda? – Das kann nicht sein –[50]

THEODA sehr zart beginnend.

– – Und doch – schau her!

Ich kann, – nicht wahr? – den Fuß hier heben,

Ich kann, – nicht wahr? – noch gehn, die Arme

Nun dir entgegenbreiten – den Spieß

Noch schleudern – und ich schleudre ihn!

Oh, Teut – das ist – ach, ich muß lachen!


Sie bricht in ein glückliches Lachen aus. Teut hat ihr mit steigender Verwunderung zugehört. Nun ist's, als ob Theodas Lachen ihn aus einem Traume wecke – eine gewaltige Bewegung geht in ihm vor: er prallt vor Theoda zurück.


TEUT.

Du lachst! – Und du darfst lachen?


Er schlägt sich mit geballten Händen vor die Stirne,

wendet sich gegen den Hain und bricht drohend aus:


Moloch!


Erinnerung übermannt ihn.


– Mutter! –


Er taumelt.


Wo bin ich? Nacht! Des Truges Rachen

Mir wild und drohend aufgerissen!

Auf dunklem Pfad ein Silberlachen

Weist es den Weg aus Finsternissen –?

THEODA.

Mich macht die Freude jauchzen, Teut!

Kann ich nicht sterben? Log dein Gott?

TEUT.

Wie Brandung braust's in meinem Hirn;

Verraten wär' ich und zertreten?

Da Gott ich sucht' in heißem Drang

Ward ich verstrickt in Nacht und Lügen;

Doch sie, die mir in Wettern klang,

Die Gottesstimme, kann sie trügen?[51]

THEODA.

Nein! Hiram log!

TEUT nun in klarer Erkenntnis.

Ein jäher Blitz

Hellt mir die Nacht: Ja, Hiram log!

Das Götterbild, er hat's gebracht,

Es diente ihm zu frevlem Spiel:

In fremden Fernen liegt sein Ziel!

Mit Wundern rief er Sehnsucht wach,

Durch Gaben wollt' er uns verführen;

Und ich jagt' wirren Träumen nach,

Wollt' treulos selbst das Volk entführen –

Entzwei, entzwei der Lüge Macht!


Er reißt das weiße Übergewand von sich.


THEODA in ausbrechender Glückseligkeit.

Mein Teut! So bist du heimgekehrt,

Jetzt glühn uns neu des Glückes Sonnen!

Der Heimat treu, die dich genährt,

Bist du dem Vater neu gewonnen!

TEUT plötzlich von Reuegedanken erfaßt.

Dem Vater? Weh, wo siecht sein Leben?

Im Totental! – Der Hungerqual

Für seinen Sohn dahingegeben,

Der König, er! Muß ich in Schmach

Nicht sühnen, was irrend ich verbrach?


Er sinkt auf den Stein am Tore und bedeckt sein Gesicht mit den Händen. Theoda neigt sich tröstend über ihn.


THEODA.

Du wirst des Vaters Leiden enden.

Blich auch sein Haar, sein Aug' blickt hell,

Die Hand hier durft ihm Nahrung spenden,

Und Wasser holt' ich ihm vom Quell.[52]

TEUT kniet gerührt vor Theoda nieder und küßt innig ihre Hände. Sehr allmählich weicht die Nacht.

Oh, laß mich diese Hände küssen,

Die ich im Irrwahn von mir stieß,

Und laß mich danken dir zu Füßen,

Die einst mir weiße Blüten wies!


Er erhebt sich.


Wie strömt's von dir mir heiß ins Blut!

Oh, holder Zauber deiner Nähe!

Dich floh ich Tor! Die sel'ge Glut,

Die ich aus dir nun leuchten sehe –


Plötzlich auffahrend.


Wie sagte er? »Das Herz ist ein

Geschwür vom Weib her – Moloch brenn'

Es aus« –


In beseligter Erkenntnis.


Ach nein, es ist nicht tot!

Wie wilder Hammer rast sein Schlag,

Und sprengt des Lügentruges Klammer,

Der Quell der Liebe bricht zutag

Und löscht den Wahn und löst den Jammer, –


Er preßt die Hände aufs Herz.


Hier lebt mein Gott! In meinem Blut

Kreist er gleich in dem Quell der Sonnen,

Dort webt er ewige Weltenglut,

Und loht in unsrer Liebe Wonnen!


Theoda wirft sich an Teuts Brust. – Teut nimmt Theoda bei der Hand; einfach und freudig:


TEUT.

Nun auf!

THEODA.

Wohin?

TEUT.

Zum Leben! Führe

Du den Vater mir zurück!


[53] Theoda will aufjauchzen, läßt aber plötzlich Teuts Hand los und beginnt leise:


THEODA.

Den Blütenzweig, den einst ich bot,

Warfst du von dir in tör'gem Zagen;

Nun trägt er Beeren, frisch und rot,

Die will ich heut' als Brautschmuck tragen!

TEUT die Arme öffnend.

Theoda! Bring mir die roten Beeren!


Theoda entzieht sich ihm und eilt die Klippen hinan. Als sie verschwunden ist, ertönt ihre Stimme:


THEODA.

Die Drossel lockt, das Eichhorn springt,

Ich pflücke rote, rote Beeren –

Und wer die hellsten Weisen singt,

Dem will ich, will ich sie gewähren!


Quelle:
Max von Schillings: Der Moloch. Dichtung frei nach Fr. Hebbels »Moloch-Fragment« von Emil Gerhäuser, Berlin [1906], S. 47-54.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon